Samstag, 29. Dezember 2012

Ein Roman zum Jahresende...


Lang, lang ist es her, dass ich meinen letzten Blogeintrag verfasst habe, und umso schwerer fällt es mir jetzt, das ganze Erlebte der letzten Wochen in Worte zu fassen…

Zunächst eine kleine Zeitreise zurück in den Oktober.
Am 5. und 6. Oktober hat in Quito ein Treffen aller weltwärts-Freiwilligen in Ecuador stattgefunden, mit dem Ziel, die anderen Freiwilligen sowie ihre Projekte kennenzulernen, und die ersten Erfahrungen auszutauschen. Zudem haben wir den Botschafter der Deutschen Botschaft in Ecuador kennengelernt und einige Informationen zur Sicherheit bekommen.
Das erste, was mir aufgefallen ist, war die unglaubliche „Kälte". Wenn man einen Monat lang nur Temperaturen über 25°C hatte, können arktische 10°C schon ein ganz schöner Schock sein. :D Zum Glück gab es in unserem Hostel viele Decken…
Die beiden Tage waren auf jeden Fall interessant für mich und mir ist auch noch mal einiges klargeworden. Zum Beispiel, wie gut ich es in meinem ruhigen und beschaulichen Tena habe: Während ich abends um 23 Uhr allein im Dunkeln durch die Gegend gehen kann und das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass mir jemand „Hola preciosa!" (auf Deutsch so viel wie „Hallo Schöne!") hinterherruft, hatten einige andere Freiwillige, die in den Großstädten wie Quito arbeiten, schon ein paar bewaffnete Raubüberfälle hinter sich... Okay.
Abends hatten die Organisatoren die Darsteller von enchufetv eingeladen. Die machen echt lustige Videos mit wunderbar ironischen Situationen aus dem täglichen Leben. Wer mal hereinschauen möchte:
Ist allerdings auf Spanisch. (;

Am darauffolgenden Wochenende war ich mit Anna und Alina, zwei meiner Mitfreiwilligen, in Baños, einem beliebten Touristenziel mitten in den Bergen. 95% der Einwohner leben dort vom Tourismus und dementsprechend hat man auch fast mehr Touristen als Einheimische zu Gesicht bekommen.
Das Angebot an kleinen schönen Dingen, die man kaufen oder einfach nur anschauen konnte, war allerdings riesig, von bunten Figuren aus Leichtholz über handgeknüpfte Teppiche bis hin zu fein ausgearbeitetem Schmuck und Wollmützen mit Tiermotiven. Interessant war auch die Bonbonherstellung, die man an jeder Straßenecke beobachten konnte. Die besteht daraus, dass jemand eine zähflüssige Zuckermasse immer und immer wieder um eine Art Garderobenharken wickelt.
Nach einer ausgiebigen Einkaufsrunde sind wir abends mit einem Bus auf einen Aussichtspunkt gefahren, von dem aus man die ganze beleuchtete Stadt überblicken konnte. Danach waren wir noch in einer Bar mit wirklich guter Livemusik, die von einer Schweizerin geführt, aber hauptsächlich von Ecuadorianern besucht wird.
Das war auf jeden Fall ein schönes Wochenende. Aber ich möchte unbedingt noch mal nach Baños zurück, denn es gibt dort so eine Art Brückensprung 100 Meter in die Tiefe und die Idee, das mal zu machen, geht mir seitdem einfach nicht mehr aus dem Kopf… :D

Von meinen Blessuren von dem Sturz in das Loch in der Straße direkt vor unserer Haustür ist übrigens nicht zurückgeblieben. Von dem Loch auch nicht, denn das wurde unterdessen dann doch freundlicherweise mal zugeschüttet – was aber noch lange nicht heißt, dass nach über drei Monaten die Bauarbeiten mal beendet sind… :D
Dafür habe ich oder viel mehr mein rechtes Bein Bekanntschaft mit einem Stacheldrahtzaun gemacht. Wer kann auch ahnen, dass auf dem Grünstreifen zwischen zwei Bürgersteigen so eine „Todesfalle“ aufgestellt wird? :D
Naja, und eine Woche später bin ich dann bei dem überaus lustigen Spiel „Wie breche ich in mein eigenes Haus ein?“ mit meiner Hand an der Spitze unseres „Hochsicherheitstors“ hängengeblieben…  Das war es dann aber auch mit solchen kleinen Unfällen. (;

Am 27. Oktober war der 40. Geburtstag von Wilson, meinem Gastvater. Der wurde natürlich auch ausgiebig gefeiert, was dann ungefähr so ablief: Den Tag über waren Edith, Lola – ihre Schwiegermutter – und deren Schwester damit beschäftigt, massenhaft Essen zu kochen. Dann kam Rolando, ein Freund der Familie und so etwas wie der Technikexperte hier, mit seinem Musik-Equipment vorbei. Als dann alles soweit fertig war, kamen auch schon die Gäste. Und dann wurde geredet, gegessen, getanzt und vor allem Bier getrunken. Das war schon echt eine lustige Gesellschaft. (; Um vier Uhr morgens war dann allerdings folgendes Szenario zu beobachten: Diana und Daniel haben längst geschlafen, Edith war gegen 3 Uhr auch ins Bett verschwunden und Wilson selbst war unterdessen auf dem Sofa eingeschlafen. Ich war also die einzige Hausbewohnerin, die noch wach war. Das Problem war nur, dass die ganzen Gäste noch da waren, juhu. :D Um fünf Uhr sind dann glücklicherweise auch die Letzten gegangen, sofern sie dazu noch in der Lage waren. (;
Und um halb acht war ich dann schon wieder damit beschäftigt, das Chaos der letzten Nacht zu beseitigen, ich bin eben ein Arbeitstier. Aber es hat auf jeden Fall Spaß gemacht.

Am 2. November war der „Día de los Difuntos“, ein Feiertag, bei dem sich an verstorbene Freunde und Verwandte erinnert wird. Infolgedessen hatten wir ein langes Wochenende, das wir dazu genutzt haben, nach Deutschland zu fahren. Nein, natürlich nicht. (; Aber die glücklichen Kühe auf den grünen Wiesen, die großen Monstertrecker und Temperaturen um den Gefrierpunkt haben doch sehr an deutsche Verhältnisse erinnert. In Wirklichkeit waren wir aber in der Sierra, der Bergregion, genau genommen in Salcedo und Saquisilí, um verschiedene Verwandte von Edith und Wilson zu besuchen, unter anderem zwei der Großmütter, die beide auf die 90 zugehen. Die Lebensumstände waren recht einfach, was mich mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat, dass nicht alle Familien so gut betucht sind wie meine Gastfamilie, aber vielleicht auch gerade deswegen glücklicher und zufriedener wirken…
Da ja, wie gesagt, Allerseelen war, sind wir mit rund 15 Leuten zum Friedhof gefahren, um die Gräber von weiteren Verwandten zu besuchen. Der Anblick war für mich schon etwas gewöhnungsbedürftig, dass zwischen den hunderten von ungleichmäßig aneinandergereihten Gräbern mit weißen Kreuzen und goldener Schrift Verkäufer herumliefen, die lautstark versucht haben, bunte Luftballons und rosa Zuckerwatte zu verkaufen, während meine Gastfamilie und die anderen Leute, mit denen wir da waren, ein Bier nach dem andere getrunken haben, die Kinder auf den Gräbern herumgehüpft sind und sich zum Ausruhen mal eben an das nächste Kreuz gelehnt wurde. Nach einer Zeit kamen zwei Sänger mit einer kleinen Gitarre, die für die Verstorbenen Trauerlieder gesungen haben und danach sind wir dann auch wieder gegangen.
Ich bin dann, obwohl ich von der nächtlichen Reise und der ungewohnten Kälte wirklich müde war, zu einem Spaziergang aufgebrochen, quer durch Felder und Wiesen, an Kakteen und Kühen vorbei, an Schluchten entlang, mit einem Wahnsinnsausblick, nur etwas kalt war es. Am Ende des Weges habe ich dann eine Indígena getroffen, die gerade Kräuter auf einem Feld gehackt hat und habe mich kurz mit ihr unterhalten. Ich bewundere diese Frauen in den Bergen, die sich von nichts von der Arbeit abhalten lassen, bei Wind und Wetter auf den Felder arbeiten und das Ganze bis ins hohe Alter und dabei immer ein freundliches und ehrliches Lächeln im Gesicht haben.
Später sind wir dann zu Ediths Familie weitergefahren, die wiederum zwei kleine Häuser in Saquisilí hat. Meine Müdigkeit war unterdessen kaum noch auszuhalten, aber irgendwie gelingt es mir dann doch immer noch, irgendwo in meinem Körper ein paar Reserven aufzutreiben, vor allem, wenn wir uns auf einmal in Latacunga auf einem riesigen Fest im Stil des Stadthäger Krammarkts befinden, mit Schiffschaukel und allem Drum und Dran, nur noch viel größer. Ich bin dann mit Daniel mit der Schiffschaukel gefahren, allerdings in so einer Art Käfig am Rand, wo man wieder sagen müsste, dass es in Deutschland garantiert nicht erlaubt wäre. Aber Spaß gemacht hat es trotzdem. (;
Am nächsten Morgen haben wir dann noch ein paar andere von Ediths Verwandten besucht und sind auf eine Wiese gegangen und haben eine Art Kirschen gepflückt, schon wieder fast wie in Deutschland. (;
Danach war es dann noch mal richtig schön. Wir, also Edith, Wilson, Daniel, Diana und ich, sind mit dem Taxi – ich verstehe unterdessen, warum hier alle sechs Monate ein Satz neuer Reifen gekauft werden muss, die Straßen sind echt extrem :D – in den Nationalpark „Llanganates“ gefahren, mit einem kleinen Wasserfall, Lagunen und endlichen Weiten an Wiesen und Hügeln. So etwas würde man vielleicht eher in Skandinavien erwarten und es fühlte sich wegen der, ich kann es nur wieder betonen, Kälte auch mehr danach an, aber Ecuador ist schon zu Recht für seine zahlreichen Facetten bekannt. (:
Schließlich haben wir uns dann auf den Heimweg gemacht. Und da habe ich mir zum ersten Mal ernsthafte Sorgen um die Verkehrssicherheit gemacht. Unser Licht war schlecht, ich war wie immer nicht angeschnallt, die Straßen waren holperig und es gab ständig solche fiesen Hügel, die die Leute dazu bringen sollen, langsamer zu fahren. Jedenfalls hat Wilson einen davon übersehen und wir haben uns alle so richtig schön den Schädel eingeschlagen. (; Und mit über 100 Stundenkilometern unangeschnallt durch die Straßen zu heizen ist schon echt gewöhnungsbedürftig. Aber wir haben es ja alle überlebt… (;
Und pünktlich, als wir zu Hause angekommen sind, hat dann erst mal das Auto gestreikt und wir mussten eine Runde anschieben. :D Wobei wir das hier jetzt schon öfter gemacht haben. Aber bei den Straßen hätte ich, wenn ich ein Auto wäre, auch keine Lust mehr. (;

Zurück in Tena hat gleich das nächste Abenteuer begonnen: die „Fiestas del Tena“. Das heißt, dass sich Tena für eine Woche in Erinnerung an die Stadtgründung in ein schier endloses Fest verwandelt.

Zu Beginn war am Donnerstag „Pregón“ in Tena, ein riesiger Umzug, wo so ziemlich alle Schulen in Tena und Umgebung und auch einige andere Institutionen angeführt von einem geschmückten Auto auf der „Calle Principal“ einen extra dafür einstudierten Tanz aufführen. Ich war schon fast ein bisschen stolz auf meine Sechs- und Siebtklässler aus San Antonio, wie sie mit ihren wallenden Kleidern und weißen Hüten über die Straße geschwebt sind. Da war ich dann auch nicht mehr böse, dass drei Wochen lang die Hälfte meiner Englischstunden dem Tanzunterricht geopfert worden waren. (;

Am Freitagabend war die „Elección de la Reina“, das ist so etwas wie die jährliche Krönung zweier Schönheitsköniginnen, einmal die „Reina del Tena“ für Tena allgemein und einmal die „Guayusa Warmi“ speziell für die Indígenas. Das Ganze hat sich bis halb drei nachts hingezogen und es war für die Kandidatinnen echt hart, denn sobald den Zuschauern etwas nicht gefallen hat, haben sie das sofort lautstark deutlich gemacht. Ich habe auf jeden Fall bis zum Ende durchgehalten, während Diana ab 22 Uhr auf der Bank neben uns geschlafen hat und Edith ab 24 Uhr schlafend an meinen Beinen gelehnt hat. (;

Trotz der kurzen Nacht habe ich Edith am Samstag auf ein für sie vorgeschriebenes Seminar zur Aufklärung und Prävention von Missbrauch von Kindern und Jugendlichen begleitet. So konnte ich mich an diesem Tag zumindest vor der überaus netten Frau von den Zeugen Jehovas drücken, die mich jeden Samstag mit Hilfe des „Wachturms“ davon zu überzeugen versucht, dass der Mensch ewig leben könne und dass auch gerade das mein innigster Wunsch sei… :D
Das Seminar war auf jeden Fall echt interessant und greift ein Problem auf, was sowohl hier als auch in Deutschland oft totgeschwiegen wird. Ich hoffe, dass in Zukunft mehr Menschen den Mut finden, bei einer solchen Situation nicht wegzusehen und einzugreifen, auch wenn oder gerade weil es innerhalb der Familie ist…

Abends waren Daniel, Diana, Edith und ich auf einer Art Kirmes und danach bis ein Uhr nachts auf einem Konzert im Stadtzentrum, mal wieder umsonst, wie so vieles hier. Zum Beispiel war ich in der Woche darauf mit ein paar Schülerinnen und Schülern aus den fünften und sechsten Klassen in einer Art Zirkus, der ebenfalls keinen Eintritt gekostet hat.

Was mich ebenfalls überrascht, sind die Preise für Gerichte in Restaurants. Was würde man wohl in Deutschland für einen halben Liter Guayusa-Tee, Tomatencremesuppe, einen großen Teller mit Reis, Zunge (die habe ich natürlich nicht gegessen ;)), Tomaten und Nudelsalat mit Apfel und Ananas und zum Nachtisch Banane mit Sahne- und Schokokekshaube bezahlen? Hier waren es ganze 2,25$...

Am 15. November, dem eigentlichen Gründungstag Tenas, war dann der krönende Abschluss: der „Baile Ecuador“, ein großes Fest im Zentrum mit vielen Sängern und Bands ganz verschiedener Musikrichtungen. Eigentlich wollte ich mich mal wieder drücken, aber ich bin dann doch mit, denn Ediths Mutter hat dort, wohlbemerkt als einzige, Bier verkauft und Edith und Daniel wollten helfen und da dachte ich mir, dass ich mich dann vielleicht auch nützlich machen könnte. Das war ohne Zweifel der richtige Gedanke, ich kann gar nicht sagen, wie viel Flaschen Bier ich an diesem Abend in Becher gefüllt habe. Aber es war auf jeden Fall amüsant für die Leute, dass eine „Gringa“ beim „Baile Ecuador“ Bier verkauft. Hat aber echt Spaß gemacht. :D

Dann muss ich unbedingt noch mal von den ganzen Bekanntschaften mit Ärzten erzählen, die ich hier schon gemacht habe. Zur Beruhigung, ich selbst war noch nicht einmal beim Arzt, ich begleite aber immer fleißig Edith, der es gesundheitlich nicht ganz so gut geht. Jedenfalls tut es mir immer schon ein bisschen Leid, dass die Ärzte sich immer fünf Minuten Zeit für sie nehmen und danach immer die Frage kommt, wer denn ihre „nette Begleitung“ sei… (;
Auf jeden Fall sind die Ärzte hier immer echt lustig und charismatisch und machen einen Witz nach dem anderen. Und es ist schon echt spannend, sich mal so eine Computertomographie in Ecuador anschauen zu können.
Naja, aber als ich dann allein in das große Krankenhaus gehen sollte, mich auf dem Weg zur Radiologie an den Betten der Patienten, die auf dem Flur geparkt wurden, vorbeischlängeln musste, mit dem Auftrag, einen Termin für Edith zur Besprechung der Ergebnisse der Bilder zu machen und der Arzt mit wunderbar undeutlichem Küstenspanisch mir statt eines Termins einfach die Bilder mitgeben wollte, war ich dann doch leicht überfordert… :D

Am 25. November war ich mit Edith bei der „Caminata“, das ist so eine Art Pilgerweg von Archidona nach Cotundo zu Ehren der „Virgen del Quinche“, einer Jungfrau, die von den Katholiken hier verehrt wird. Und nach zweieinhalb Stunden Gehen bei Dauerregen war ich schon stolz, als wir mit rund 500 Leuten in Cotundo angekommen sind.

Im Hinblick auf meine Arbeit in der Schule habe ich übrigens einiges verändert: Die beiden achten und neunten Klassen in Muyuna habe ich abgegeben. Nach zwei Monaten erschien es mir nur noch als Zeitverschwendung und die Zeit hat mir wiederum an anderen Stellen gefehlt. Um den Schülerinnen und Schülern, die wirklich Englisch lernen möchten, aber nicht die Chance dazu zu nehmen, gebe ich momentan zusätzliche Stunden nach Schulschluss und bin eigentlich ganz zufrieden damit.
Dementsprechend habe ich auch die Tage getauscht, so dass ich jetzt immer montags, mittwochs und freitags in San Antonio und montags nachmittags, dienstags und donnerstags in Muyuna bin.
Die Arbeit macht mir immer noch Spaß, wobei es schon schwierig ist, zu sehen, dass einige bereits Sätze bilden und so viele Wörter beherrschen, dass man es als Wortschatz bezeichnen kann und andere immer noch fragen, ob sie denn bei „My name is ________.“ ihren Namen oder das Datum hinschreiben sollen…

Ansonsten bringt mich so schnell nichts mehr aus der Ruhe. Ich schreie gegen den Platzregen an, der unermüdlich auf das Wellblechdach des Klassenraums prasselt, ich renne mit den Fünftklässlern um den Sportplatz, damit sie hinterher zu geschafft zum Nerven sind, ich male 25 Weihnachtsbäume in 25 Englischhefte, weil die Kinder meinen, ich könnte das ja viel besser als sie, ich höre mir Vorträge sauberes Wasser und Selbstvertrauen an, die an sich wirklich interessant und auch wichtig sind, nur leider prinzipiell in meinen Englischstunden liegen, und wenn ich die Kinder endlich dazu gebracht habe, sich hinzusetzen und ihre Aufgaben zu machen, philosophiere ich darüber, welche politische Einstellung wohl die Eltern von Bolívar Stalin vertreten…

Die Schultage beginnen noch immer mit der täglichen Aufstellung auf dem Hof, die neben der Morgengymnastik und dem Beten auch immer öfter dazu genutzt wird, zu erklären, dass man die Lehrerin bitte nicht aus Versehen mit einem Schuh abwirft, dass man dem Lehrer nicht einfach die Brötchen aus der Tasche klaut, dass man den Müll bitte nicht überall liegen lässt oder dass man bitte nicht so viele Limonen mit Salz isst, bis das Blut verklumpt… Ihr seht, es wird auf jeden Fall nicht langweilig hier. (;

Interessant war im November übrigens auch die Wahl der Schülerregierung. Während in Deutschland die Klassensprecherwahl oft so abgelaufen ist, dass gefragt wurde: „Wer will?“, „Du?“ „Seid ihr alle damit einverstanden?“, „Ja?“, „Gut, herzlichen Glückwunsch, dann bist du es jetzt.“, ist das Ganze hier bei weitem ein größerer Akt. Die Schülerinnen und Schüler, die in der Regierung mitarbeiten möchten, müssen ein Programm ausarbeiten, das verschiedene Bereiche wie beispielsweise Sport oder Gesundheit an der Schule abdeckt. Es gibt dann zwei Listen mit Kandidaten, die zur Wahl stehen, das heißt, die Schülerinnen und Schüler können sich entweder für die Liste A oder die Liste B entscheiden. Der Kopf einer Liste ist immer der Präsident oder die Präsidentin. Nach der Wahl findet eine richtige Veranstaltung zur Amtseinführung statt, die gleichzeitig mit einem Sportfest verbunden wird. Und wer zum Präsidenten oder zur Präsidentin gewählt wird, hat dann wirklich große Aufgaben vor sich, wie zum Beispiel vor Hunderten von Leuten auf der Weihnachtsfeier zu sprechen und so weiter. Und wir sprechen hier nicht von 16-Jährigen, sondern von Kindern zwischen 8 und 11 Jahren. Der Präsident, der es in San Antonio letztendlich geworden ist, macht seine Sache übrigens echt gut und freut sich immer, wenn ich ihn morgens beim täglichen Händeschütteln mit „Good morning, Mister President!“ begrüße. (; Erst neulich musste er sich als Frau verkleiden und den ganzen Tag in der Schule mit einer Puppe im Arm herumlaufen und nach Geld fragen. Einfach nur herrlich. :D

Und dann war plötzlich schon Dezember und damit Weihnachtszeit. Wobei, so ganz stimmt das nicht. Denn die Weihnachtsmusik dröhnte schon seit Oktober aus den Lautsprechern und die Massen an kitschiger Weihnachtsdekoration, Keksen und Rocher-Schokolade (!) war ab Oktober ebenfalls dauerpräsent. Und ich dachte, das wäre nur in Deutschland so… :D
Ab Dezember fand ich es aber doch ganz schön, vor allem, mit Diana und Edith den kleinen niedlichen Plastikbaum zu schmücken… (;

Was neben dem Weihnachtsbaum aber mindestens genauso wichtig ist, ist die Krippe, die in keinem Haushalt fehlen darf. Die besteht meist aus künstlichem Moos, einem kleinen Haus und ganz vielen kleinen Figuren, die Maria, Josef, die Könige, die Hirten, Schafe, Esel und so weiter darstellen. Es gibt sogar richtige Wettbewerbe, wer die schönste Krippe gestaltet.

Besonders in den Kirchen sind die Krippen besonders groß und besonders schön. Was ich allerdings noch viel eindrucksvoller als die Krippe in der Kirche bei uns um die Ecke fand, war der Pfarrer, den ich erst gar nicht als solchen erkannt habe. Ich war nämlich mit Edith in der Kirche, um eben die besagte Krippe anzuschauen, als uns auf dem Rückweg ein sportlicher Mann in Trikot um die 40 entgegengejoggt kam und sich angeregt mit uns über alles Mögliche unterhielt und ich dann dachte, es wäre ein Scherz, als sich dieser Mann zum Ende des Gespräches als „Padre Victor“ vorstellte. :D Wie auch immer, er war mir schon sympathisch, als er Edith fragte, ob sie denn mit ihrer Tochter unterwegs sei – okay, könnte vielleicht daran gelegen haben, dass es schon dunkel war, aber egal. :D Dann meinte er, ich würde ja schon so gut Spanisch sprechen, da war er mir gleich noch sympathischer, und als er dann sagte, dass ich gern mal in der Kirche zum Klavierspielen vorbeikommen könnte, hatte er mich dann wirklich von sich überzeugt. (; Das Klavierspielen gehört nämlich zu den wenigen Dingen, die mir hier wirklich fehlen…

Der Dezember ist hier für die Kinder ohne Zweifel auch der Monat der Süßigkeiten. So fährt zum Beispiel der Bürgermeister zu jeder einzelnen Schule in der Umgebung und schenkt jedem einzelnen Kind eine Tüte mit den verschiedensten Süßigkeiten. Da die meisten Kinder hier aber absolut nicht verwöhnt sind, sind sie so begeistert gewesen, dass sie fast alles auf einmal gegessen haben. Naja, und daraufhin hatten wir nur noch Kinder mit Bauchschmerzen…(;

Am 20. Dezember war dann Ediths Geburtstag. Und weil mir die traurige Antwort auf die Frage an Wilsons Geburtstag, ob  es denn für sie an ihrem Geburtstag auch so einer Feier geben würde und sie nur „Nein, das haben sie noch nie gemacht.“ sagte, nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist, habe ich das dieses Jahr einfach mal selbst in die Hand genommen. Wobei, „einfach“ ist an dieser Stelle vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck… (;
Jedenfalls habe ich mit Laura, einer Mitfreiwilligen, die mit Edith an derselben Schule arbeitet, und ihrem Freund, der sie gerade für einen Monat hier besucht, einen wahren Partyvorbereitungs- und Ausführungsmarathon hingelegt – und zwar ohne, dass Edith selbst auch nur die leiseste Ahnung hatte. :D Morgens um 9 Uhr ging es los mit Einkaufen für die rund 20 heimlich eingeladenen Gäste, danach hieß es Chaos beseitigen, denn meine Chaotenfamilie hat leider die schlechte Angewohnheit, alles überall herumliegen zu lassen – ihr glaubt nicht, wie oft ich schon Ediths Handy anklingeln musste, um es dann wiederum aus irgendeiner Sofaritze, der hintersten Schrankschublade oder dem Wäschekorb zu fischen. :D
Daraufhin waren dann Pizza und Kuchen dran. Ich kann mich gar nicht dran erinnern, wie viele Bleche Pizza an diesem Tag erst belegt, dann in den Ofen geschoben, dann gebacken und dann auch schon wieder aufgegessen wurden. (;
Jedenfalls waren wir pünktlich um 15:30 Uhr fertig, aber von den Gästen oder dem Geburtstagskind war keine Spur zu sehen. Naja, ecuadorianische Pünktlichkeit eben. (;
Irgendwann haben sich dann aber doch alle erbarmt, zu kommen und was soll ich sagen? Nach ein wenig anfänglicher Trägheit hat sie unsere Party in den absoluten Knaller verwandelt! Die Leute haben blecheweise unsere Pizza gegessen, literweise Bier getrunken und stundenlang zu der Musik, die aus dem Riesenlautsprecher kam, den uns netterweise der Nachbar geliehen hatte, getanzt, als gäbe es kein Morgen mehr. Wobei der Gedanke gar nicht so abwegig war, schließlich sollte ja am 21. Dezember die Welt untergehen. Naja, ist sie dann zwar doch nicht, aber es wäre auf jeden Fall ein würdiger Abschluss gewesen. (;
Kurzum, unsere Party ist gelungen. Und was mich am meisten gefreut hat, war, zu sehen, wie glücklich Edith an diesem Abend war. Nur schade, dass sie sich am nächsten Morgen nur noch sehr lückenhaft erinnern konnte… (;

Und dann war auch schon Weihnachten, sofern man das denn so nennen kann. Pralle Sonne, 30°C, ich hüpfe mit Top und kurzer Hose an grünen Palmen vorbei und fühle mich, als wäre Hochsommer, bis mir plötzlich in voller Lautstärke „Jingle Bells“ entgegenschallt. Okay.
Zumindest die Nachricht, dass es in Deutschland das wärmste Weihnachten seit langem war, hat mich im Hinblick auf meinen Schnee- und Kälteentzug ein bisschen milde gestimmt.
Das Essen konnte mit dem deutschen Weihnachtsessen aber auf jeden Fall mithalten. Es gab eine riesige Pute aus dem Ofen, von der meine Familie drei Tage lang gegessen hat, Reis und Gemüse.
Die Weihnachtsgeschenke wurden mir zu Liebe vor dem Auspacken noch unter den Plastikbaum gelegt. Hier ist es sogar nicht unüblich, dass die Kinder ihre Geschenke schon ein paar Tage vorher bekommen, nämlich gleich dann, wenn sie sich so gut wie alles im Geschäft selbst ausgesucht haben. Das finde ich persönlich ein wenig schade, denn so geht ja sämtliche Vorfreude und Spannung, was sich nun in dem bunten bedruckten Papier befindet, verloren bzw. kommt gar nicht erst auf.

Weihnachten war für mich dieses Jahr also recht unspektakulär, wobei sich natürlich die Frage stellt, was man überhaupt als „unspektakulär“ bezeichnen kann, wenn man sich gerade für ein Jahr am anderen Ende der Welt befindet…

So neigt sich das Jahr 2012 also dem Ende zu, ein Jahr, das sich am besten damit zusammenfassen lässt, dass es nicht zusammenzufassen ist. Es ist ein bisschen wie ein Baum, aus dessen Stamm auf einmal ganz viele verschiedene Äste und Zweige abgehen, es gibt mehr nur noch diesen einen Weg, sondern unendliche viele, und jeder Einzelne von uns steht nun vor der großen Aufgabe, den für sich richtigen darunter zu finden…

Meine Lieben, ich hoffe, ihr hattet schöne Weihnachten und ich wünsche euch vom anderen Ende der Welt aus einen ganz tollen Start ins neue Jahr – ihr dürft ja schon sechs Stunden früher als ich die Sektkorken knallen lassen… (;

Montag, 12. November 2012

Fotomarathon Teil 2

Und hier wohne ich:
Das Haus - mit meiner heißgeliebten Dachterrasse


Wenn sich die Straße mal wieder in einen Fluss verwandelt... (;


Das chaotische Zimmer von Diana und mir (;


Die Küche...

... und das Wohnzimmer




Ein Teil der Hühnerschar...
... und ihr Zuhause.




 
Die Hauptstraße, die Calle Principal, die Quince de Noviembre - eine Straße mit vielen Namen. (;


Der Supermarkt

Die Feria - hier kann man vor allem Obst und Gemüse einkaufen.


Mein Lieblingseiscafé inklusive Taxi-Karawane (;

Blick von der Fußgängerbrücke

Der Park im Zentrum


Und als nächstes kommen meine Schülerinnen und Schüler, meine Kinder oder meine Monster – wie auch immer man sie nennen mag. (;

Fotomarathon Teil 1

Meine Lieben,
beschämt habe ich festgestellt, dass meine letzten Ausführungen schon über einen Monat her sind. Ich hoffe, ich finde zukünftig mehr Zeit, denn es gibt eine ganze Menge zu erzählen. (:

Hier nun endlich mal die ersten Fotos von meiner Familie:
 
 

Wilson im Nationalpark Llanganates
 
 
Edith, Diana und Daniel beim Ausflug zu den Höhlen von Jumandy

Oma Gloria und Oma Lola
 

Opa Arturo bei der Arbeit

Opa Washington und seine Finca

Lulú in Erwartungshaltung, denn vielleicht kommt gleich ...


... mein Kätzchen. (;

Im nächsten Teil folgt dann mein Zuhause. (:

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Ciudad Mágica, con Olor a Orquídea, Guayusa y Canela - así es mi Tena. (Fotos folgen)

auf deutsch: Magische Stadt, mit dem Duft von Orchideen, Guayusa (eine einheimische Pflanze) und Zimt – das ist mein Tena.
Manchmal kommt man an einen Ort, über den man fast nichts weiß, den man noch nie gesehen hat. Und schon nach kurzer Zeit kommt es einem vor, als wäre man nie woanders gewesen, als möchte man nie woanders sein…
Jetzt bin ich schon einem Monat in Ecuador und seit dreieinhalb Wochen in Tena – Wahnsinn, wie schnell die Zeit vergeht.
Und in dieser Zeit ist schon eine ganze Menge passiert. Am besten, ich fange mal vorne an.
Nach rund fünf Stunden Busfahrt bin ich am 8. September nachmittags am Terminal in Tena angekommen. Dort wurde ich dann von meiner Gastfamilie empfangen. Die besteht übrigens Mamá Edith, Papá Wilson, Daniel (13) und Diana (8). Dann gibt es da noch den Hund Lulú, die Katze und diverse Hühner… Und ich kann nach diesen drei Wochen schon sagen, dass ich diese Familie bereits ins Herz geschlossen habe als wäre es meine eigene…
Ich wohne hier in einem schönen Häuschen in einem ruhigen Viertel in der Nähe des Zentrums. Was für mich wirklich überraschend war, ist, dass es hier echt an nichts fehlt, wir haben fließendes Wasser, Strom, Licht, Toiletten, Duschen, Herd, Fernseher, Computer, Internet und so weiter. Mein liebster Platz ist allerdings das Dach. Da stelle ich mir nämlich ab und zu mal einen Liegestuhl drauf und lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen. (:
Das Wetter ist übrigens echt spannend hier. Im Moment ist gerade ein Gewitter, es gießt wie aus Eimern und unsere Straße verwandelt sich in einen Fluss – man merkt also schon, dass wir hier zum Regenwaldgebiet gehören. Die meiste Zeit scheint aber die Sonne und es ist echt heiß, allerdings angenehmer, als wenn es in Deutschland so warm ist. Bisher hatte ich jedenfalls noch keine Probleme und freue mich immer, wenn ich sehe, dass meine Haut schon einen schönen Cappuccino-Ton angenommen hat. (;
Derzeit werden in unserem Viertel die Wasserrohre getauscht, das heißt, man muss sich darauf einstellen, dass es gelegentlich tagsüber kein Wasser und keinen Strom gibt. Die Straßen gleichen aufgrund der Löcher, der aufgeschütteten Erde und den kleinen Seen schon fast einem Abenteuerpfad, was ich eigentlich ganz lustig fand, bis ich letzte Woche abends im Dunkeln in so ein Loch hineingestürzt bin… (;
Auch die Stadt ist wirklich schön und sehr lebendig. Es gibt eine Hauptstraße, die Calle Principal, die durch die ganze Stadt führt und an der alle Geschäfte liegen, die man sich nur vorstellen kann. Ein großer Supermarkt im Kauflandstil, Märkte mit frischem Obst und Gemüse, Restaurants, Eiscafés, Friseure, Tanzschulen, Modegeschäfte, Schneidereien, Schmuckbasare, Schreibwarenläden, Möbel- und Elektronikfachgeschäfte, Tankstellen, Werkstätten und so weiter. Fast jede Familie hat hier ihr eigenes kleines Geschäft oder einen eigenen Betrieb.
Für mich ist Tena eine Art Stadt der Kontraste, einerseits fortschrittlich und technisiert, andererseits aber auch traditionell und etwas chaotisch. So muss ich schon ein bisschen schmunzeln, wenn ich durch die Straße gehe und im Fenster des Geschäfts neben einem Internetcafé ein ganzer Kopf einer geschlachteten Kuh liegt. Aber vielleicht sind es gerade diese Aspekte, die die Stadt für mich so anziehend und reizvoll machen.
Viele Dinge, über die man sich in Deutschland den Kopf zerbricht, spielen hier einfach gar keine Rolle, das ist in mancher Hinsicht wirklich befreiend.
Besonders faszinierend ist allerdings auch die Naturvielfalt, die man zu Gesicht bekommt, wenn man die Stadt bzw. das Zentrum verlässt.
So war ich an einem Wochenende zum Beispiel mit meiner Familie in Misahuallí, einem Ort, den man ohne Zweifel auch als Paradies bezeichnen könnte. Überall sieht man unberührte Wälder, klare Flüsse mit feinem Sandboden oder auch den einen oder anderen Affen, der darauf spezialisiert ist, den Menschen das Essen zu klauen. (;
Von dort aus sind wir dann mit einem kleinen Motorboot zu einem Reservat gefahren, haben uns ein indigenes Museum angesehen, Papageien beobachtet, einer Wildkatze in die Augen geschaut und die ganze Pflanzenwelt betrachtet.
Letztes Wochenende waren wir in den Höhlen von Jumandy in Archidona, einer Nachbarstadt von Tena. Das war schon echt abenteuerlich, wenn auch nicht ganz ungefährlich… So sind wir jedenfalls mit Gummistiefeln durch die Tropfsteinhöhle geklettert, haben uns durch schmale Felsspalten gezwängt, im Dunkeln einen kleinen, aber ziemlich reißenden Fluss durchquert und unter einem Wasserfall geduscht.
Nun will ich aber auch mal zu meiner Arbeit kommen.
Montags, mittwochs und freitags arbeite an der Schule „Emilio Cecco“ in Muyuna, einem Dorf in der Nähe von Tena. Hier gibt es rund 300 Schülerinnen und Schüler in den Klassenstufen 1 bis 9. Ich selbst arbeite mit den Kindern ab Klasse 5, so dass meine Schülerinnen und Schüler zwischen 8 und 16 Jahren alt sind. Wer in welchem Alter in welcher Klasse ist, wird dementsprechend nicht so genau genommen.
Dienstags und donnerstags bin ich an der Schule in San Antonio. Hier gibt es ebenfalls rund 300 Schülerinnen und Schüler, allerdings in den Klassen 1 bis 7, wie es für Ecuador üblich ist. Danach wechseln die Schüler auf ein Colegio, einer weiterführenden Schule, die dann zum Abschluss führt. In San Antonio arbeite ich ebenfalls mit den Schülerinnen und Schülern ab Klasse 5.
Die Klassengrößen sind hier ganz angenehm, meist so um die 25 Kinder pro Klasse.
Insgesamt habe ich rund 300 Schülerinnen und Schüler in 13 Klassen mit jeweils zwei Wochenstunden. Bis ich mir alle Namen merken kann, wird es wohl noch eine Weile dauern – vor allem, weil alle immer die gleiche Schuluniform anhaben… (;
Mit den Namen ist das sowieso so eine Sache. Shakiras Hausaufgaben zu kontrollieren ist ja noch ganz lustig, aber wenn Lenin und Stalin sich im Unterricht Hakenkreuze auf die Arme malen und Hitler am Mittagstisch sitzt, vergeht zumindest mir das Lächeln ganz schnell… Mit der politischen Auffassung in der Familie hat es übrigens nichts zu tun, Stalin, Lenin usw. sind hier ziemlich gebräuchliche Namen, welche Personen sich dahinter verbergen, weiß meist niemand.
Vergleiche mit Schulen in Deutschland sollte man – meiner Meinung nach – besser nicht ziehen, weil vieles einfach nicht zu vergleichen ist. Der Schulalltag wird ganz anders gestaltet. So beginnt jeder Tag um 7 Uhr morgens mit einer Versammlung aller Schülerinnen und Schüler auf dem Hof, bei der Gymnastikübungen gemacht werden oder gebetet und gesungen wird und die Besonderheiten des Tages bekanntgegeben werden. Danach beginnt der Unterricht. Eine Schulstunde dauert, je nach Schule 40 oder 45 Minuten, zwischen den einzelnen Stunden ist keine Pause, es gibt nur eine große nach der vierten Stunde. Interessant ist auch, dass ein Lehrer in einer Klasse alle Fächer unterrichtet. Der Unterricht an sich besteht häufig nur aus abschreiben und Aufgaben bearbeiten. Jede einzelne Aufgabe wird vom Lehrer korrigiert und bewertet, das ist schon eine Menge Arbeit. Auf der einen Seite herrscht eine ganz schöne Strenge, auf der anderen Seite ist aber auch alles sehr locker. Die Lehrer spielen in den Pausen mit ihren Schüler Fußball und machen andere Dinge zusammen, so dass zwischen Lehrern und Schülern zum Teil ein echt freundschaftliches Verhältnis zu finden ist. Schön finde ich auch, dass die Kinder sich immer ehrlich freuen, wenn sie mich sehen und ich immer Angst um meine Ärmel haben muss, weil sie mich nicht zur nächsten Klasse gehen lassen wollen. (;
Eine feste Struktur findet man allerdings nur bedingt, oftmals muss ich meinen Tagesplan gleich wieder über den Haufen werfen. So hatte ich es beispielsweise schon, dass ich den Raum meiner einen fünften Klasse leer vorgefunden habe und alle fünf Minuten ein patschnasser Fünftklässler zur Tür hereinkam, weil die Kinder gerade im Fluss neben der Schule baden waren. (;
Eine Horde lustloser Acht- oder Neuntklässler ist allerdings schon etwas schwieriger, aber es hat ja auch niemand gesagt, dass es einfach wird…
Auch die Mittagshitze macht sowohl mir als auch den Kindern gelegentlich zu schaffen, aber das Problem löst der Fluss gegenüber ganz schnell. (;
Ich bin jedenfalls mal gespannt, was ich in einem halben Jahr zum Schulalltag hier sagen werde.
Mit meinem Spanisch klappt es mittlerweile übrigens ganz gut. Zu Anfang war es echt deprimierend, weil mir das ganze Alltagsvokabular gefehlt hat. Unterdessen habe ich aber schon einiges dazugelernt und es setzt langsam die Routine ein. Auch hier bin ich gespannt, wie es in einem halben Jahr aussehen wird.
Nun schildere ich euch noch mal einen typischen Tag:
5:20 Uhr, mein Wecker klingelt – ja, so früh. (;  
Ich stehe auf, mache mich fertig und esse etwas zum Frühstück. Das besteht in meiner Familie aus Erdbeeren und Joghurt, frisch gepresstem Saft oder einer Art heiße Hafermilch.
Es ist mittlerweile 6:20 Uhr und wir sitzen alle in unserem Auto – es ist übrigens ein Taxi. Ich erwische mich mal wieder dabei, dass ich ins Leere greife, denn in Ecuador schnallt man sich im Auto nicht an und sitzt auch gut und gerne mal mit acht Leuten auf den fünf Plätzen, nicht zu vergessen, die sechs Leute auf der Ladefläche. (;
Edith, Lehrerin an einer Schule in Archidona, und ich werden an der Bushaltestelle abgesetzt, Daniel und Diana bei ihren Schulen. Dann fährt Wilson, ebenfalls Lehrer, zu seiner Schule und überlässt das Auto einem Taxifahrer, der dann den Tag über damit durch die Gegend fährt.
Ich sitze jetzt im Bus, entweder nach San Antonio oder nach Muyuna. Die Busfahrten kosten auch hier nur 25 Centavos.
Zwischen 6:45 Uhr und 7:00 Uhr komme ich dann in meinen Schulen an und ich habe kaum einen Fuß auf den Schulhof gesetzt, da schallt mir auch schon ein „Señorita“ entgegen und ich werde von einer Horde fröhlicher Kinder umzingelt. Danach führt mich mein erster Weg ins Direktorzimmer, um, wie alle anderen Lehrerinnen und Lehrer, zu unterschreiben, dass ich gekommen bin. Danach heißt es dann gefühlte 300 Hände schütteln, es ist hier nämlich üblich, dass die Schülerinnen und Schüler jeden Lehrer einzeln und persönlich begrüßen. Gegen 7:15 Uhr versammeln sich dann alle Schülerinnen und Schüler der ganzen Schule auf dem Hof bis der Unterricht beginnt. So begebe auch ich mich, je nach Wochentag und Stundenplan, immer noch grüßend und Hände schüttelnd, zu meiner ersten Unterrichtsstunde. Ehe dann Ruhe in der Klasse eingekehrt ist, vergehen meist noch ein paar Minuten und beginnen wir mit einem Begrüßungslied. Danach gibt es dann eine Aufgabe zu erledigen, wie zum Beispiel die Zahlen mit den zugehörigen Wörtern zu verbinden. Und bis dann alle fertig sind und ich alle Hefte kontrolliert habe, sind die 40 Minuten in Muyuna bzw. die 45 Minuten in San Antonio entweder schon wieder um oder es bleibt noch Zeit für ein Spiel. Dann hetze ich zur nächsten Stunde, weil es so etwas wie Fünfminutenpausen zum Raumwechseln ja hier nicht gibt. So läuft das vier Stunden und dann ist Feueralarm – ach nein, Pause – an die Pausenklingel werde ich mich wohl nie gewöhnen. (; Während der Pause werden die Kekse bzw. die Müsliriegel, die hier die Regierung jeder Schule täglich zur Verfügung stellt, und die Colada, ein warmes Getränk, das von Müttern der Schüler zubereitet wird, verteilt. Danach geht der Unterricht weiter. Meine letzte Unterrichtsstunde geht, je nach Wochentag, bis 11:45 Uhr oder bis 12:35 Uhr, ich bleibe aber oft noch länger da. Alle anderen Lehrerinnen und Lehrer müssen jeden Tag bis 15 Uhr da bleiben und Hausaufgaben bewerten, Tests kontrollieren, unendlich viele Statistiken aufstellen, didaktische Pläne erarbeiten und so weiter. Bisher wurde ich zum Glück noch nicht danach gefragt. An den Tagen, an denen ich Freistunden habe, bereite ich meinen Unterricht vor oder helfe in den unteren Klassenstufen mit, zum Beispiel beim Basteln in der zweiten Klasse.
Meist sitze ich dann um 13:15 Uhr im Bus nach Hause und hole auf dem Weg noch Diana ab, die bei ihren Großeltern gegessen hat. Je nachdem, wo ich in der Stadt unterwegs bin, schaue ich immer gern bei den einen Großeltern in der Schneiderei bzw. im Krimskramsladen oder bei den anderen in der Werkstatt bzw. im Imbiss vorbei.
Wenn ich zu Hause angekommen bin, wärme ich mir dann entweder Suppe auf, brate Bananen oder suche mir was zu essen zusammen. Danach kümmere ich mich immer um den Haushalt, daran habe ich hier wirklich Gefallen gefunden. Wenn ich damit fertig bin, stelle ich, je nach Lust und Laune bzw. je nach Wetter, den Liegestuhl auf die Dachterrasse oder ich schreibe Mails, treffe mich mit den anderen Freiwilligen aus der Gegend, gehe einkaufen, koche, unternehme was mit Diana oder bereite etwas für den Unterricht vor. Dann kommt irgendwann Edith nach Hause und wir unterhalten uns, kochen, gehen einkaufen und so weiter. Abends essen wir dann alle zusammen. Mit dem Essen habe ich, sogar als Vegetarierin, überhaupt keine Probleme. Es gibt viel Reis, manchmal bis zu drei Mal am Tag, aber auch Kartoffeln und Nudeln, manchmal auch alles zusammen. Das Obst und Gemüse ist hier immer frisch und von der Qualität her mit dem deutschen gar nicht zu vergleichen. Auch die Vielfalt ist viel größer, ich habe bestimmt schon zehn Sachen gegessen, von denen ich bisher gar nicht wusste, dass es sie gibt. Man muss sich aber auch darauf einstellen, dass es eine ganze Menge frittiert wird oder überall Massen an Zucker drin sind. Besonders die Kinder in den Schulen laufen schon morgens mit Bonbons, Lollis und Chips durch die Gegend, was sich natürlich auch auf die Zähne auswirkt… In der Hinsicht merkt man schon, dass es, gerade in den Dörfern, noch ein bisschen Nachholbedarf gibt, aber auch daran wird gearbeitet, so gibt es in Muyuna dieses Jahr beispielsweise eine Kampagne zur Zahngesundheit. Es bleibt allerdings fraglich, inwieweit die Menschen das annehmen werden, viele sind einfach zufrieden mit dem, wie es ist, und möchten keine Veränderungen. Hier komme ich auch manchmal ins Zweifeln, inwieweit es sinnvoll ist, Englisch zu unterrichten, aber die verfliegen dann auch wieder, zum Beispiel, wenn einer meiner Fünftklässler ganz stolz sein gelöstes Buchstabenrätsel vorführt. (;
Nach dem Essen gucke ich dann fernsehen – egal, wo man hier in Tena hinkommt, es läuft immer der Fernseher (; - oder schaue mir mit Edith ihre Sachen für die Universität an – es ist hier gar nicht selten, dass die Leute neben der Arbeit noch studieren, was ich echt faszinierend finde – und dann gehe ich irgendwann, meist zu spät, ins Bett und schlafe, bis am nächsten Morgen, pünktlich um 5:20 Uhr, wieder der Wecker klingelt.
Auch hier bin ich gespannt, wie meine Tage so in ein paar Wochen oder Monaten aussehen – ich werde euch auf dem Laufenden halten.
In diesem Sinne liebe Grüße vom anderen Ende der Welt und bis zum nächsten Mal!

Samstag, 15. September 2012

Quito, Quito, Quito

Ein letzter Blick aus dem Fenster des Flugzeugs, bis man in den Wolken verschwindet. Und wenn die weißen Schleier nach langer Zeit die Sicht wieder freigeben, ist es, als ob sich die Tore zu einer neuen Welt öffnen…
Jetzt bin ich schon seit fast zwei Wochen in Ecuador und weiß gar nicht so recht, wo ich anfangen soll, weil es so unglaublich viel zu erzählen gibt.
Nach einem Flug voller Befürchtungen und Zweifel, ob es tatsächlich die richtige Entscheidung war, für ein Jahr nach Ecuador zu gehen, bin ich um 14:35 Uhr Ortszeit auf dem Flughafen in Quito angekommen – inklusive Gepäck. Danach wurden wir zum Haus der Fundación Proyecto Ecológico Chiriboga, der Partnerorganisation in Ecuador, gebracht und dort von Virginia und Carmen, unseren Mentorinnen, sowie von einigen anderen Freiwilligen empfangen. Trotz der Müdigkeit haben wir uns mit den drei Nichten von Virginia und Carmen die Stadt angeschaut. Quito hat etwas unglaublich Faszinierendes, überall sind Berge und kleine Häuser an den Bergrändern, das kommt besonders abends zur Geltung, wenn alles beleuchtet ist. Das historische Altstandviertel ist ebenfalls absolut sehenswert, insbesondere die Kirchen und Kathedralen sind bis in kleinste Detail bemalt und verziert.
 
Ein besonderes Highlight ist auch das Busfahren: Egal wohin und wie lange, es kostet nur 25 Centavos und ist echt lustig. Die Türen bleiben offen, die Vorfahrt wird durch Hupen geregelt und zum Abbiegen wird der Arm herausgestreckt. Dis Busfahrer sind oft sehr charismatisch und pfeifen einem hinterher, um noch mal winken zu können. :D
Etwas anstrengend sind allerdings die vielen Verkäufer, die in den Bussen oder am Straßenrand um jeden Preis versuchen, Obst, Chips, Süßigkeiten und dergleichen zu verkaufen und gelegentlich etwas unleidlich werden, wenn man ihnen nichts abkauft. Man sollte daher schon ein Auge auf seine Umgebung haben, aber ich bin der Auffassung, dass das in deutschen Großstädten nicht unbedingt anders ist.
Vormittags und nachmittags hatten wir immer Seminare, zum einen um Informationen über Land und Leute zu bekommen – so ist es zum Beispiel sehr unhöflich, nicht zu grüßen – und zum anderen über den Schulalltag. Es ist schon eine ganze Menge Schreibkram, den die Lehrerinnen und Lehrer und damit auch wir, hier zu erledigen haben: Es gibt sogenannte didaktische Pläne, die für fünf Wochen ausgearbeitet und dem Direktor vorgelegt werden müssen und alle Inhalte und Methoden beinhalten, die in dieser Zeit vermittelt und angewendet werden sollen. Zusätzlich werden die Schüler in kleinen Abständen immer überprüft, ob sie die einzelnen Lernziele erreicht haben und wenn nicht, muss man ihnen Zusatzaufgaben geben oder ihnen außerhalb der regulären Stunden den Stoff noch einmal vermitteln. Inwieweit diese Theorie auch Praxis ist, werde ich dann wohl in den  nächsten Wochen an den beiden Schulen, an denen ich arbeite, erfahren.
Abends hatten wir dafür immer frei und hatten so Zeit, uns auch mal das Nachtleben von Quito anzuschauen. Besonders die jungen Leute gehen abends gern aus und tanzen, so dass die Bars und Diskotheken teilweise so voll sind, dass man sich kaum noch bewegen kann. Ansonsten sollte man gerade als Frau aufpassen, wenn es dunkel ist, nicht mehr alleine unterwegs zu sein, um nicht beklaut zu werden oder in sonstige unangenehme Situationen zu geraten…
Sicher gibt es in Quito auch Orte, die sehr heruntergekommen und elend sind und man am liebsten wegschauen würde, aber insgesamt kann ich sagen, dass mir Quito, die ganzen schönen Gassen, die kleinen Geschäfte und Märkte und die temperamentvollen und freundlichen Leute wirklich gut gefallen haben.
Das nächste Mal erfahrt ihr dann mehr über meine Familie und mein neues Zuhause in Tena, das Wetter, das Essen, meine Arbeit an den Schulen und was ich sonst noch alles erlebe.
Viele Grüße aus Ecuador nach Deutschland!