Mittwoch, 3. Oktober 2012

Ciudad Mágica, con Olor a Orquídea, Guayusa y Canela - así es mi Tena. (Fotos folgen)

auf deutsch: Magische Stadt, mit dem Duft von Orchideen, Guayusa (eine einheimische Pflanze) und Zimt – das ist mein Tena.
Manchmal kommt man an einen Ort, über den man fast nichts weiß, den man noch nie gesehen hat. Und schon nach kurzer Zeit kommt es einem vor, als wäre man nie woanders gewesen, als möchte man nie woanders sein…
Jetzt bin ich schon einem Monat in Ecuador und seit dreieinhalb Wochen in Tena – Wahnsinn, wie schnell die Zeit vergeht.
Und in dieser Zeit ist schon eine ganze Menge passiert. Am besten, ich fange mal vorne an.
Nach rund fünf Stunden Busfahrt bin ich am 8. September nachmittags am Terminal in Tena angekommen. Dort wurde ich dann von meiner Gastfamilie empfangen. Die besteht übrigens Mamá Edith, Papá Wilson, Daniel (13) und Diana (8). Dann gibt es da noch den Hund Lulú, die Katze und diverse Hühner… Und ich kann nach diesen drei Wochen schon sagen, dass ich diese Familie bereits ins Herz geschlossen habe als wäre es meine eigene…
Ich wohne hier in einem schönen Häuschen in einem ruhigen Viertel in der Nähe des Zentrums. Was für mich wirklich überraschend war, ist, dass es hier echt an nichts fehlt, wir haben fließendes Wasser, Strom, Licht, Toiletten, Duschen, Herd, Fernseher, Computer, Internet und so weiter. Mein liebster Platz ist allerdings das Dach. Da stelle ich mir nämlich ab und zu mal einen Liegestuhl drauf und lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen. (:
Das Wetter ist übrigens echt spannend hier. Im Moment ist gerade ein Gewitter, es gießt wie aus Eimern und unsere Straße verwandelt sich in einen Fluss – man merkt also schon, dass wir hier zum Regenwaldgebiet gehören. Die meiste Zeit scheint aber die Sonne und es ist echt heiß, allerdings angenehmer, als wenn es in Deutschland so warm ist. Bisher hatte ich jedenfalls noch keine Probleme und freue mich immer, wenn ich sehe, dass meine Haut schon einen schönen Cappuccino-Ton angenommen hat. (;
Derzeit werden in unserem Viertel die Wasserrohre getauscht, das heißt, man muss sich darauf einstellen, dass es gelegentlich tagsüber kein Wasser und keinen Strom gibt. Die Straßen gleichen aufgrund der Löcher, der aufgeschütteten Erde und den kleinen Seen schon fast einem Abenteuerpfad, was ich eigentlich ganz lustig fand, bis ich letzte Woche abends im Dunkeln in so ein Loch hineingestürzt bin… (;
Auch die Stadt ist wirklich schön und sehr lebendig. Es gibt eine Hauptstraße, die Calle Principal, die durch die ganze Stadt führt und an der alle Geschäfte liegen, die man sich nur vorstellen kann. Ein großer Supermarkt im Kauflandstil, Märkte mit frischem Obst und Gemüse, Restaurants, Eiscafés, Friseure, Tanzschulen, Modegeschäfte, Schneidereien, Schmuckbasare, Schreibwarenläden, Möbel- und Elektronikfachgeschäfte, Tankstellen, Werkstätten und so weiter. Fast jede Familie hat hier ihr eigenes kleines Geschäft oder einen eigenen Betrieb.
Für mich ist Tena eine Art Stadt der Kontraste, einerseits fortschrittlich und technisiert, andererseits aber auch traditionell und etwas chaotisch. So muss ich schon ein bisschen schmunzeln, wenn ich durch die Straße gehe und im Fenster des Geschäfts neben einem Internetcafé ein ganzer Kopf einer geschlachteten Kuh liegt. Aber vielleicht sind es gerade diese Aspekte, die die Stadt für mich so anziehend und reizvoll machen.
Viele Dinge, über die man sich in Deutschland den Kopf zerbricht, spielen hier einfach gar keine Rolle, das ist in mancher Hinsicht wirklich befreiend.
Besonders faszinierend ist allerdings auch die Naturvielfalt, die man zu Gesicht bekommt, wenn man die Stadt bzw. das Zentrum verlässt.
So war ich an einem Wochenende zum Beispiel mit meiner Familie in Misahuallí, einem Ort, den man ohne Zweifel auch als Paradies bezeichnen könnte. Überall sieht man unberührte Wälder, klare Flüsse mit feinem Sandboden oder auch den einen oder anderen Affen, der darauf spezialisiert ist, den Menschen das Essen zu klauen. (;
Von dort aus sind wir dann mit einem kleinen Motorboot zu einem Reservat gefahren, haben uns ein indigenes Museum angesehen, Papageien beobachtet, einer Wildkatze in die Augen geschaut und die ganze Pflanzenwelt betrachtet.
Letztes Wochenende waren wir in den Höhlen von Jumandy in Archidona, einer Nachbarstadt von Tena. Das war schon echt abenteuerlich, wenn auch nicht ganz ungefährlich… So sind wir jedenfalls mit Gummistiefeln durch die Tropfsteinhöhle geklettert, haben uns durch schmale Felsspalten gezwängt, im Dunkeln einen kleinen, aber ziemlich reißenden Fluss durchquert und unter einem Wasserfall geduscht.
Nun will ich aber auch mal zu meiner Arbeit kommen.
Montags, mittwochs und freitags arbeite an der Schule „Emilio Cecco“ in Muyuna, einem Dorf in der Nähe von Tena. Hier gibt es rund 300 Schülerinnen und Schüler in den Klassenstufen 1 bis 9. Ich selbst arbeite mit den Kindern ab Klasse 5, so dass meine Schülerinnen und Schüler zwischen 8 und 16 Jahren alt sind. Wer in welchem Alter in welcher Klasse ist, wird dementsprechend nicht so genau genommen.
Dienstags und donnerstags bin ich an der Schule in San Antonio. Hier gibt es ebenfalls rund 300 Schülerinnen und Schüler, allerdings in den Klassen 1 bis 7, wie es für Ecuador üblich ist. Danach wechseln die Schüler auf ein Colegio, einer weiterführenden Schule, die dann zum Abschluss führt. In San Antonio arbeite ich ebenfalls mit den Schülerinnen und Schülern ab Klasse 5.
Die Klassengrößen sind hier ganz angenehm, meist so um die 25 Kinder pro Klasse.
Insgesamt habe ich rund 300 Schülerinnen und Schüler in 13 Klassen mit jeweils zwei Wochenstunden. Bis ich mir alle Namen merken kann, wird es wohl noch eine Weile dauern – vor allem, weil alle immer die gleiche Schuluniform anhaben… (;
Mit den Namen ist das sowieso so eine Sache. Shakiras Hausaufgaben zu kontrollieren ist ja noch ganz lustig, aber wenn Lenin und Stalin sich im Unterricht Hakenkreuze auf die Arme malen und Hitler am Mittagstisch sitzt, vergeht zumindest mir das Lächeln ganz schnell… Mit der politischen Auffassung in der Familie hat es übrigens nichts zu tun, Stalin, Lenin usw. sind hier ziemlich gebräuchliche Namen, welche Personen sich dahinter verbergen, weiß meist niemand.
Vergleiche mit Schulen in Deutschland sollte man – meiner Meinung nach – besser nicht ziehen, weil vieles einfach nicht zu vergleichen ist. Der Schulalltag wird ganz anders gestaltet. So beginnt jeder Tag um 7 Uhr morgens mit einer Versammlung aller Schülerinnen und Schüler auf dem Hof, bei der Gymnastikübungen gemacht werden oder gebetet und gesungen wird und die Besonderheiten des Tages bekanntgegeben werden. Danach beginnt der Unterricht. Eine Schulstunde dauert, je nach Schule 40 oder 45 Minuten, zwischen den einzelnen Stunden ist keine Pause, es gibt nur eine große nach der vierten Stunde. Interessant ist auch, dass ein Lehrer in einer Klasse alle Fächer unterrichtet. Der Unterricht an sich besteht häufig nur aus abschreiben und Aufgaben bearbeiten. Jede einzelne Aufgabe wird vom Lehrer korrigiert und bewertet, das ist schon eine Menge Arbeit. Auf der einen Seite herrscht eine ganz schöne Strenge, auf der anderen Seite ist aber auch alles sehr locker. Die Lehrer spielen in den Pausen mit ihren Schüler Fußball und machen andere Dinge zusammen, so dass zwischen Lehrern und Schülern zum Teil ein echt freundschaftliches Verhältnis zu finden ist. Schön finde ich auch, dass die Kinder sich immer ehrlich freuen, wenn sie mich sehen und ich immer Angst um meine Ärmel haben muss, weil sie mich nicht zur nächsten Klasse gehen lassen wollen. (;
Eine feste Struktur findet man allerdings nur bedingt, oftmals muss ich meinen Tagesplan gleich wieder über den Haufen werfen. So hatte ich es beispielsweise schon, dass ich den Raum meiner einen fünften Klasse leer vorgefunden habe und alle fünf Minuten ein patschnasser Fünftklässler zur Tür hereinkam, weil die Kinder gerade im Fluss neben der Schule baden waren. (;
Eine Horde lustloser Acht- oder Neuntklässler ist allerdings schon etwas schwieriger, aber es hat ja auch niemand gesagt, dass es einfach wird…
Auch die Mittagshitze macht sowohl mir als auch den Kindern gelegentlich zu schaffen, aber das Problem löst der Fluss gegenüber ganz schnell. (;
Ich bin jedenfalls mal gespannt, was ich in einem halben Jahr zum Schulalltag hier sagen werde.
Mit meinem Spanisch klappt es mittlerweile übrigens ganz gut. Zu Anfang war es echt deprimierend, weil mir das ganze Alltagsvokabular gefehlt hat. Unterdessen habe ich aber schon einiges dazugelernt und es setzt langsam die Routine ein. Auch hier bin ich gespannt, wie es in einem halben Jahr aussehen wird.
Nun schildere ich euch noch mal einen typischen Tag:
5:20 Uhr, mein Wecker klingelt – ja, so früh. (;  
Ich stehe auf, mache mich fertig und esse etwas zum Frühstück. Das besteht in meiner Familie aus Erdbeeren und Joghurt, frisch gepresstem Saft oder einer Art heiße Hafermilch.
Es ist mittlerweile 6:20 Uhr und wir sitzen alle in unserem Auto – es ist übrigens ein Taxi. Ich erwische mich mal wieder dabei, dass ich ins Leere greife, denn in Ecuador schnallt man sich im Auto nicht an und sitzt auch gut und gerne mal mit acht Leuten auf den fünf Plätzen, nicht zu vergessen, die sechs Leute auf der Ladefläche. (;
Edith, Lehrerin an einer Schule in Archidona, und ich werden an der Bushaltestelle abgesetzt, Daniel und Diana bei ihren Schulen. Dann fährt Wilson, ebenfalls Lehrer, zu seiner Schule und überlässt das Auto einem Taxifahrer, der dann den Tag über damit durch die Gegend fährt.
Ich sitze jetzt im Bus, entweder nach San Antonio oder nach Muyuna. Die Busfahrten kosten auch hier nur 25 Centavos.
Zwischen 6:45 Uhr und 7:00 Uhr komme ich dann in meinen Schulen an und ich habe kaum einen Fuß auf den Schulhof gesetzt, da schallt mir auch schon ein „Señorita“ entgegen und ich werde von einer Horde fröhlicher Kinder umzingelt. Danach führt mich mein erster Weg ins Direktorzimmer, um, wie alle anderen Lehrerinnen und Lehrer, zu unterschreiben, dass ich gekommen bin. Danach heißt es dann gefühlte 300 Hände schütteln, es ist hier nämlich üblich, dass die Schülerinnen und Schüler jeden Lehrer einzeln und persönlich begrüßen. Gegen 7:15 Uhr versammeln sich dann alle Schülerinnen und Schüler der ganzen Schule auf dem Hof bis der Unterricht beginnt. So begebe auch ich mich, je nach Wochentag und Stundenplan, immer noch grüßend und Hände schüttelnd, zu meiner ersten Unterrichtsstunde. Ehe dann Ruhe in der Klasse eingekehrt ist, vergehen meist noch ein paar Minuten und beginnen wir mit einem Begrüßungslied. Danach gibt es dann eine Aufgabe zu erledigen, wie zum Beispiel die Zahlen mit den zugehörigen Wörtern zu verbinden. Und bis dann alle fertig sind und ich alle Hefte kontrolliert habe, sind die 40 Minuten in Muyuna bzw. die 45 Minuten in San Antonio entweder schon wieder um oder es bleibt noch Zeit für ein Spiel. Dann hetze ich zur nächsten Stunde, weil es so etwas wie Fünfminutenpausen zum Raumwechseln ja hier nicht gibt. So läuft das vier Stunden und dann ist Feueralarm – ach nein, Pause – an die Pausenklingel werde ich mich wohl nie gewöhnen. (; Während der Pause werden die Kekse bzw. die Müsliriegel, die hier die Regierung jeder Schule täglich zur Verfügung stellt, und die Colada, ein warmes Getränk, das von Müttern der Schüler zubereitet wird, verteilt. Danach geht der Unterricht weiter. Meine letzte Unterrichtsstunde geht, je nach Wochentag, bis 11:45 Uhr oder bis 12:35 Uhr, ich bleibe aber oft noch länger da. Alle anderen Lehrerinnen und Lehrer müssen jeden Tag bis 15 Uhr da bleiben und Hausaufgaben bewerten, Tests kontrollieren, unendlich viele Statistiken aufstellen, didaktische Pläne erarbeiten und so weiter. Bisher wurde ich zum Glück noch nicht danach gefragt. An den Tagen, an denen ich Freistunden habe, bereite ich meinen Unterricht vor oder helfe in den unteren Klassenstufen mit, zum Beispiel beim Basteln in der zweiten Klasse.
Meist sitze ich dann um 13:15 Uhr im Bus nach Hause und hole auf dem Weg noch Diana ab, die bei ihren Großeltern gegessen hat. Je nachdem, wo ich in der Stadt unterwegs bin, schaue ich immer gern bei den einen Großeltern in der Schneiderei bzw. im Krimskramsladen oder bei den anderen in der Werkstatt bzw. im Imbiss vorbei.
Wenn ich zu Hause angekommen bin, wärme ich mir dann entweder Suppe auf, brate Bananen oder suche mir was zu essen zusammen. Danach kümmere ich mich immer um den Haushalt, daran habe ich hier wirklich Gefallen gefunden. Wenn ich damit fertig bin, stelle ich, je nach Lust und Laune bzw. je nach Wetter, den Liegestuhl auf die Dachterrasse oder ich schreibe Mails, treffe mich mit den anderen Freiwilligen aus der Gegend, gehe einkaufen, koche, unternehme was mit Diana oder bereite etwas für den Unterricht vor. Dann kommt irgendwann Edith nach Hause und wir unterhalten uns, kochen, gehen einkaufen und so weiter. Abends essen wir dann alle zusammen. Mit dem Essen habe ich, sogar als Vegetarierin, überhaupt keine Probleme. Es gibt viel Reis, manchmal bis zu drei Mal am Tag, aber auch Kartoffeln und Nudeln, manchmal auch alles zusammen. Das Obst und Gemüse ist hier immer frisch und von der Qualität her mit dem deutschen gar nicht zu vergleichen. Auch die Vielfalt ist viel größer, ich habe bestimmt schon zehn Sachen gegessen, von denen ich bisher gar nicht wusste, dass es sie gibt. Man muss sich aber auch darauf einstellen, dass es eine ganze Menge frittiert wird oder überall Massen an Zucker drin sind. Besonders die Kinder in den Schulen laufen schon morgens mit Bonbons, Lollis und Chips durch die Gegend, was sich natürlich auch auf die Zähne auswirkt… In der Hinsicht merkt man schon, dass es, gerade in den Dörfern, noch ein bisschen Nachholbedarf gibt, aber auch daran wird gearbeitet, so gibt es in Muyuna dieses Jahr beispielsweise eine Kampagne zur Zahngesundheit. Es bleibt allerdings fraglich, inwieweit die Menschen das annehmen werden, viele sind einfach zufrieden mit dem, wie es ist, und möchten keine Veränderungen. Hier komme ich auch manchmal ins Zweifeln, inwieweit es sinnvoll ist, Englisch zu unterrichten, aber die verfliegen dann auch wieder, zum Beispiel, wenn einer meiner Fünftklässler ganz stolz sein gelöstes Buchstabenrätsel vorführt. (;
Nach dem Essen gucke ich dann fernsehen – egal, wo man hier in Tena hinkommt, es läuft immer der Fernseher (; - oder schaue mir mit Edith ihre Sachen für die Universität an – es ist hier gar nicht selten, dass die Leute neben der Arbeit noch studieren, was ich echt faszinierend finde – und dann gehe ich irgendwann, meist zu spät, ins Bett und schlafe, bis am nächsten Morgen, pünktlich um 5:20 Uhr, wieder der Wecker klingelt.
Auch hier bin ich gespannt, wie meine Tage so in ein paar Wochen oder Monaten aussehen – ich werde euch auf dem Laufenden halten.
In diesem Sinne liebe Grüße vom anderen Ende der Welt und bis zum nächsten Mal!