Lang, lang ist es her,
dass ich meinen letzten Blogeintrag verfasst habe, und umso schwerer fällt es
mir jetzt, das ganze Erlebte der letzten Wochen in Worte zu fassen…
Zunächst eine kleine
Zeitreise zurück in den Oktober.
Am 5. und 6. Oktober hat
in Quito ein Treffen aller weltwärts-Freiwilligen
in Ecuador stattgefunden, mit dem Ziel, die anderen Freiwilligen sowie ihre
Projekte kennenzulernen, und die ersten Erfahrungen auszutauschen. Zudem haben
wir den Botschafter der Deutschen Botschaft in Ecuador kennengelernt und einige
Informationen zur Sicherheit bekommen.
Das erste, was mir
aufgefallen ist, war die unglaubliche „Kälte". Wenn man einen Monat lang
nur Temperaturen über 25°C hatte, können arktische 10°C schon ein ganz schöner
Schock sein. :D Zum Glück gab es in unserem Hostel viele Decken…
Die beiden Tage waren auf
jeden Fall interessant für mich und mir ist auch noch mal einiges klargeworden.
Zum Beispiel, wie gut ich es in meinem ruhigen und beschaulichen Tena habe: Während
ich abends um 23 Uhr allein im Dunkeln durch die Gegend gehen kann und das
Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass mir jemand „Hola preciosa!"
(auf Deutsch so viel wie „Hallo Schöne!") hinterherruft, hatten einige
andere Freiwillige, die in den Großstädten wie Quito arbeiten, schon ein paar
bewaffnete Raubüberfälle hinter sich... Okay.
Abends hatten die
Organisatoren die Darsteller von enchufetv
eingeladen. Die machen echt lustige Videos mit wunderbar ironischen Situationen
aus dem täglichen Leben. Wer mal hereinschauen möchte:
Ist allerdings auf
Spanisch. (;
Am darauffolgenden
Wochenende war ich mit Anna und Alina, zwei meiner Mitfreiwilligen, in Baños,
einem beliebten Touristenziel mitten in den Bergen. 95% der Einwohner leben
dort vom Tourismus und dementsprechend hat man auch fast mehr Touristen als
Einheimische zu Gesicht bekommen.
Das Angebot an kleinen
schönen Dingen, die man kaufen oder einfach nur anschauen konnte, war
allerdings riesig, von bunten Figuren aus Leichtholz über handgeknüpfte
Teppiche bis hin zu fein ausgearbeitetem Schmuck und Wollmützen mit
Tiermotiven. Interessant war auch die Bonbonherstellung, die man an jeder
Straßenecke beobachten konnte. Die besteht daraus, dass jemand eine zähflüssige
Zuckermasse immer und immer wieder um eine Art Garderobenharken wickelt.
Nach einer ausgiebigen
Einkaufsrunde sind wir abends mit einem Bus auf einen Aussichtspunkt gefahren,
von dem aus man die ganze beleuchtete Stadt überblicken konnte. Danach waren
wir noch in einer Bar mit wirklich guter Livemusik, die von einer Schweizerin
geführt, aber hauptsächlich von Ecuadorianern besucht wird.
Das war auf jeden Fall ein
schönes Wochenende. Aber ich möchte unbedingt noch mal nach Baños zurück, denn
es gibt dort so eine Art Brückensprung 100 Meter in die Tiefe und die Idee, das
mal zu machen, geht mir seitdem einfach nicht mehr aus dem Kopf… :D
Von meinen Blessuren von
dem Sturz in das Loch in der Straße direkt vor unserer Haustür ist übrigens
nicht zurückgeblieben. Von dem Loch auch nicht, denn das wurde unterdessen dann
doch freundlicherweise mal zugeschüttet – was aber noch lange nicht heißt, dass
nach über drei Monaten die Bauarbeiten mal beendet sind… :D
Dafür habe ich oder viel
mehr mein rechtes Bein Bekanntschaft mit einem Stacheldrahtzaun gemacht. Wer
kann auch ahnen, dass auf dem Grünstreifen zwischen zwei Bürgersteigen so eine
„Todesfalle“ aufgestellt wird? :D
Naja, und eine Woche später
bin ich dann bei dem überaus lustigen Spiel „Wie breche ich in mein eigenes
Haus ein?“ mit meiner Hand an der Spitze unseres „Hochsicherheitstors“
hängengeblieben… Das war es dann aber
auch mit solchen kleinen Unfällen. (;
Am 27. Oktober war der 40.
Geburtstag von Wilson, meinem Gastvater. Der wurde natürlich auch ausgiebig
gefeiert, was dann ungefähr so ablief: Den Tag über waren Edith, Lola – ihre
Schwiegermutter – und deren Schwester damit beschäftigt, massenhaft Essen zu
kochen. Dann kam Rolando, ein Freund der Familie und so etwas wie der
Technikexperte hier, mit seinem Musik-Equipment vorbei. Als dann alles soweit
fertig war, kamen auch schon die Gäste. Und dann wurde geredet, gegessen,
getanzt und vor allem Bier getrunken. Das war schon echt eine lustige
Gesellschaft. (; Um vier Uhr morgens war dann allerdings folgendes Szenario zu
beobachten: Diana und Daniel haben längst geschlafen, Edith war gegen 3 Uhr
auch ins Bett verschwunden und Wilson selbst war unterdessen auf dem Sofa
eingeschlafen. Ich war also die einzige Hausbewohnerin, die noch wach war. Das
Problem war nur, dass die ganzen Gäste noch da waren, juhu. :D Um fünf Uhr sind
dann glücklicherweise auch die Letzten gegangen, sofern sie dazu noch in der
Lage waren. (;
Und um halb acht war ich dann
schon wieder damit beschäftigt, das Chaos der letzten Nacht zu beseitigen, ich
bin eben ein Arbeitstier. Aber es hat auf jeden Fall Spaß gemacht.
Am 2. November war der
„Día de los Difuntos“, ein Feiertag, bei dem sich an verstorbene Freunde und
Verwandte erinnert wird. Infolgedessen hatten wir ein langes Wochenende, das
wir dazu genutzt haben, nach Deutschland zu fahren. Nein, natürlich nicht. (;
Aber die glücklichen Kühe auf den grünen Wiesen, die großen Monstertrecker und
Temperaturen um den Gefrierpunkt haben doch sehr an deutsche Verhältnisse
erinnert. In Wirklichkeit waren wir aber in der Sierra, der Bergregion, genau
genommen in Salcedo und Saquisilí, um verschiedene Verwandte von Edith und
Wilson zu besuchen, unter anderem zwei der Großmütter, die beide auf die 90 zugehen.
Die Lebensumstände waren recht einfach, was mich mal wieder auf den Boden der
Tatsachen zurückgeholt hat, dass nicht alle Familien so gut betucht sind wie
meine Gastfamilie, aber vielleicht auch gerade deswegen glücklicher und
zufriedener wirken…
Da ja, wie gesagt,
Allerseelen war, sind wir mit rund 15 Leuten zum Friedhof gefahren, um die
Gräber von weiteren Verwandten zu besuchen. Der Anblick war für mich schon
etwas gewöhnungsbedürftig, dass zwischen den hunderten von ungleichmäßig
aneinandergereihten Gräbern mit weißen Kreuzen und goldener Schrift Verkäufer
herumliefen, die lautstark versucht haben, bunte Luftballons und rosa
Zuckerwatte zu verkaufen, während meine Gastfamilie und die anderen Leute, mit
denen wir da waren, ein Bier nach dem andere getrunken haben, die Kinder auf
den Gräbern herumgehüpft sind und sich zum Ausruhen mal eben an das nächste
Kreuz gelehnt wurde. Nach einer Zeit kamen zwei Sänger mit einer kleinen
Gitarre, die für die Verstorbenen Trauerlieder gesungen haben und danach sind
wir dann auch wieder gegangen.
Ich bin dann, obwohl ich
von der nächtlichen Reise und der ungewohnten Kälte wirklich müde war, zu einem
Spaziergang aufgebrochen, quer durch Felder und Wiesen, an Kakteen und Kühen
vorbei, an Schluchten entlang, mit einem Wahnsinnsausblick, nur etwas kalt war
es. Am Ende des Weges habe ich dann eine Indígena getroffen, die gerade Kräuter
auf einem Feld gehackt hat und habe mich kurz mit ihr unterhalten. Ich
bewundere diese Frauen in den Bergen, die sich von nichts von der Arbeit
abhalten lassen, bei Wind und Wetter auf den Felder arbeiten und das Ganze bis
ins hohe Alter und dabei immer ein freundliches und ehrliches Lächeln im
Gesicht haben.
Später sind wir dann zu
Ediths Familie weitergefahren, die wiederum zwei kleine Häuser in Saquisilí hat.
Meine Müdigkeit war unterdessen kaum noch auszuhalten, aber irgendwie gelingt
es mir dann doch immer noch, irgendwo in meinem Körper ein paar Reserven
aufzutreiben, vor allem, wenn wir uns auf einmal in Latacunga auf einem
riesigen Fest im Stil des Stadthäger Krammarkts befinden, mit Schiffschaukel
und allem Drum und Dran, nur noch viel größer. Ich bin dann mit Daniel mit der
Schiffschaukel gefahren, allerdings in so einer Art Käfig am Rand, wo man
wieder sagen müsste, dass es in Deutschland garantiert nicht erlaubt wäre. Aber
Spaß gemacht hat es trotzdem. (;
Am nächsten Morgen haben
wir dann noch ein paar andere von Ediths Verwandten besucht und sind auf eine
Wiese gegangen und haben eine Art Kirschen gepflückt, schon wieder fast wie in
Deutschland. (;
Danach war es dann noch
mal richtig schön. Wir, also Edith, Wilson, Daniel, Diana und ich, sind mit dem
Taxi – ich verstehe unterdessen, warum hier alle sechs Monate ein Satz neuer
Reifen gekauft werden muss, die Straßen sind echt extrem :D – in den
Nationalpark „Llanganates“ gefahren, mit einem kleinen Wasserfall, Lagunen und
endlichen Weiten an Wiesen und Hügeln. So etwas würde man vielleicht eher in
Skandinavien erwarten und es fühlte sich wegen der, ich kann es nur wieder betonen,
Kälte auch mehr danach an, aber Ecuador ist schon zu Recht für seine
zahlreichen Facetten bekannt. (:
Schließlich haben wir uns
dann auf den Heimweg gemacht. Und da habe ich mir zum ersten Mal ernsthafte
Sorgen um die Verkehrssicherheit gemacht. Unser Licht war schlecht, ich war wie
immer nicht angeschnallt, die Straßen waren holperig und es gab ständig solche
fiesen Hügel, die die Leute dazu bringen sollen, langsamer zu fahren.
Jedenfalls hat Wilson einen davon übersehen und wir haben uns alle so richtig
schön den Schädel eingeschlagen. (; Und mit über 100 Stundenkilometern
unangeschnallt durch die Straßen zu heizen ist schon echt gewöhnungsbedürftig.
Aber wir haben es ja alle überlebt… (;
Und pünktlich, als wir zu
Hause angekommen sind, hat dann erst mal das Auto gestreikt und wir mussten
eine Runde anschieben. :D Wobei wir das hier jetzt schon öfter gemacht haben.
Aber bei den Straßen hätte ich, wenn ich ein Auto wäre, auch keine Lust mehr.
(;
Zurück in Tena hat gleich
das nächste Abenteuer begonnen: die „Fiestas del Tena“. Das heißt, dass sich
Tena für eine Woche in Erinnerung an die Stadtgründung in ein schier endloses
Fest verwandelt.
Zu Beginn war am
Donnerstag „Pregón“ in Tena, ein riesiger Umzug, wo so ziemlich alle Schulen in
Tena und Umgebung und auch einige andere Institutionen angeführt von einem
geschmückten Auto auf der „Calle Principal“ einen extra dafür einstudierten
Tanz aufführen. Ich war schon fast ein bisschen stolz auf meine Sechs- und
Siebtklässler aus San Antonio, wie sie mit ihren wallenden Kleidern und weißen
Hüten über die Straße geschwebt sind. Da war ich dann auch nicht mehr böse,
dass drei Wochen lang die Hälfte meiner Englischstunden dem Tanzunterricht
geopfert worden waren. (;
Am Freitagabend war die
„Elección de la Reina“, das ist so etwas wie die jährliche Krönung zweier
Schönheitsköniginnen, einmal die „Reina del Tena“ für Tena allgemein und einmal
die „Guayusa Warmi“ speziell für die Indígenas. Das Ganze hat sich bis halb
drei nachts hingezogen und es war für die Kandidatinnen echt hart, denn sobald
den Zuschauern etwas nicht gefallen hat, haben sie das sofort lautstark
deutlich gemacht. Ich habe auf jeden Fall bis zum Ende durchgehalten, während
Diana ab 22 Uhr auf der Bank neben uns geschlafen hat und Edith ab 24 Uhr
schlafend an meinen Beinen gelehnt hat. (;
Trotz der kurzen Nacht
habe ich Edith am Samstag auf ein für sie vorgeschriebenes Seminar zur
Aufklärung und Prävention von Missbrauch von Kindern und Jugendlichen
begleitet. So konnte ich mich an diesem Tag zumindest vor der überaus netten Frau
von den Zeugen Jehovas drücken, die mich jeden Samstag mit Hilfe des
„Wachturms“ davon zu überzeugen versucht, dass der Mensch ewig leben könne und
dass auch gerade das mein innigster Wunsch sei… :D
Das Seminar war auf jeden
Fall echt interessant und greift ein Problem auf, was sowohl hier als auch in
Deutschland oft totgeschwiegen wird. Ich hoffe, dass in Zukunft mehr Menschen
den Mut finden, bei einer solchen Situation nicht wegzusehen und einzugreifen,
auch wenn oder gerade weil es innerhalb der Familie ist…
Abends waren Daniel,
Diana, Edith und ich auf einer Art Kirmes und danach bis ein Uhr nachts auf
einem Konzert im Stadtzentrum, mal wieder umsonst, wie so vieles hier. Zum
Beispiel war ich in der Woche darauf mit ein paar Schülerinnen und Schülern aus
den fünften und sechsten Klassen in einer Art Zirkus, der ebenfalls keinen
Eintritt gekostet hat.
Was mich ebenfalls
überrascht, sind die Preise für Gerichte in Restaurants. Was würde man wohl in
Deutschland für einen halben Liter Guayusa-Tee, Tomatencremesuppe, einen großen
Teller mit Reis, Zunge (die habe ich natürlich nicht gegessen ;)), Tomaten und
Nudelsalat mit Apfel und Ananas und zum Nachtisch Banane mit Sahne- und
Schokokekshaube bezahlen? Hier waren es ganze 2,25$...
Am 15. November, dem
eigentlichen Gründungstag Tenas, war dann der krönende Abschluss: der „Baile
Ecuador“, ein großes Fest im Zentrum mit vielen Sängern und Bands ganz
verschiedener Musikrichtungen. Eigentlich wollte ich mich mal wieder drücken,
aber ich bin dann doch mit, denn Ediths Mutter hat dort, wohlbemerkt als
einzige, Bier verkauft und Edith und Daniel wollten helfen und da dachte ich
mir, dass ich mich dann vielleicht auch nützlich machen könnte. Das war ohne
Zweifel der richtige Gedanke, ich kann gar nicht sagen, wie viel Flaschen Bier
ich an diesem Abend in Becher gefüllt habe. Aber es war auf jeden Fall amüsant
für die Leute, dass eine „Gringa“ beim „Baile Ecuador“ Bier verkauft. Hat aber
echt Spaß gemacht. :D
Dann muss ich unbedingt
noch mal von den ganzen Bekanntschaften mit Ärzten erzählen, die ich hier schon
gemacht habe. Zur Beruhigung, ich selbst war noch nicht einmal beim Arzt, ich
begleite aber immer fleißig Edith, der es gesundheitlich nicht ganz so gut
geht. Jedenfalls tut es mir immer schon ein bisschen Leid, dass die Ärzte sich
immer fünf Minuten Zeit für sie nehmen und danach immer die Frage kommt, wer
denn ihre „nette Begleitung“ sei… (;
Auf jeden Fall sind die
Ärzte hier immer echt lustig und charismatisch und machen einen Witz nach dem
anderen. Und es ist schon echt spannend, sich mal so eine Computertomographie
in Ecuador anschauen zu können.
Naja, aber als ich dann allein in das große
Krankenhaus gehen sollte, mich auf dem Weg zur Radiologie an den Betten der
Patienten, die auf dem Flur geparkt wurden, vorbeischlängeln musste, mit dem
Auftrag, einen Termin für Edith zur Besprechung der Ergebnisse der Bilder zu
machen und der Arzt mit wunderbar undeutlichem Küstenspanisch mir statt eines
Termins einfach die Bilder mitgeben wollte, war ich dann doch leicht überfordert…
:D
Am 25. November war ich
mit Edith bei der „Caminata“, das ist so eine Art Pilgerweg von Archidona nach
Cotundo zu Ehren der „Virgen del Quinche“, einer Jungfrau, die von den
Katholiken hier verehrt wird. Und nach zweieinhalb Stunden Gehen bei Dauerregen
war ich schon stolz, als wir mit rund 500 Leuten in Cotundo angekommen sind.
Im Hinblick auf meine
Arbeit in der Schule habe ich übrigens einiges verändert: Die beiden achten und
neunten Klassen in Muyuna habe ich abgegeben. Nach zwei Monaten erschien es mir
nur noch als Zeitverschwendung und die Zeit hat mir wiederum an anderen Stellen
gefehlt. Um den Schülerinnen und Schülern, die wirklich Englisch lernen
möchten, aber nicht die Chance dazu zu nehmen, gebe ich momentan zusätzliche
Stunden nach Schulschluss und bin eigentlich ganz zufrieden damit.
Dementsprechend habe ich
auch die Tage getauscht, so dass ich jetzt immer montags, mittwochs und
freitags in San Antonio und montags nachmittags, dienstags und donnerstags in
Muyuna bin.
Die Arbeit macht mir immer
noch Spaß, wobei es schon schwierig ist, zu sehen, dass einige bereits Sätze
bilden und so viele Wörter beherrschen, dass man es als Wortschatz bezeichnen
kann und andere immer noch fragen, ob sie denn bei „My name is ________.“ ihren
Namen oder das Datum hinschreiben sollen…
Ansonsten bringt mich so
schnell nichts mehr aus der Ruhe. Ich schreie gegen den Platzregen an, der
unermüdlich auf das Wellblechdach des Klassenraums prasselt, ich renne mit den
Fünftklässlern um den Sportplatz, damit sie hinterher zu geschafft zum Nerven
sind, ich male 25 Weihnachtsbäume in 25 Englischhefte, weil die Kinder meinen,
ich könnte das ja viel besser als sie, ich höre mir Vorträge sauberes Wasser
und Selbstvertrauen an, die an sich wirklich interessant und auch wichtig sind,
nur leider prinzipiell in meinen Englischstunden liegen, und wenn ich die
Kinder endlich dazu gebracht habe, sich hinzusetzen und ihre Aufgaben zu
machen, philosophiere ich darüber, welche politische Einstellung wohl die
Eltern von Bolívar Stalin vertreten…
Die Schultage beginnen
noch immer mit der täglichen Aufstellung auf dem Hof, die neben der
Morgengymnastik und dem Beten auch immer öfter dazu genutzt wird, zu erklären,
dass man die Lehrerin bitte nicht aus Versehen mit einem Schuh abwirft, dass
man dem Lehrer nicht einfach die Brötchen aus der Tasche klaut, dass man den
Müll bitte nicht überall liegen lässt oder dass man bitte nicht so viele
Limonen mit Salz isst, bis das Blut verklumpt… Ihr seht, es wird auf jeden Fall
nicht langweilig hier. (;
Interessant war im
November übrigens auch die Wahl der Schülerregierung. Während in Deutschland
die Klassensprecherwahl oft so abgelaufen ist, dass gefragt wurde: „Wer will?“,
„Du?“ „Seid ihr alle damit einverstanden?“, „Ja?“, „Gut, herzlichen Glückwunsch,
dann bist du es jetzt.“, ist das Ganze hier bei weitem ein größerer Akt. Die
Schülerinnen und Schüler, die in der Regierung mitarbeiten möchten, müssen ein
Programm ausarbeiten, das verschiedene Bereiche wie beispielsweise Sport oder
Gesundheit an der Schule abdeckt. Es gibt dann zwei Listen mit Kandidaten, die
zur Wahl stehen, das heißt, die Schülerinnen und Schüler können sich entweder
für die Liste A oder die Liste B entscheiden. Der Kopf einer Liste ist immer
der Präsident oder die Präsidentin. Nach der Wahl findet eine richtige
Veranstaltung zur Amtseinführung statt, die gleichzeitig mit einem Sportfest
verbunden wird. Und wer zum Präsidenten oder zur Präsidentin gewählt wird, hat
dann wirklich große Aufgaben vor sich, wie zum Beispiel vor Hunderten von
Leuten auf der Weihnachtsfeier zu sprechen und so weiter. Und wir sprechen hier
nicht von 16-Jährigen, sondern von Kindern zwischen 8 und 11 Jahren. Der
Präsident, der es in San Antonio letztendlich geworden ist, macht seine Sache
übrigens echt gut und freut sich immer, wenn ich ihn morgens beim täglichen
Händeschütteln mit „Good morning, Mister President!“ begrüße. (; Erst neulich
musste er sich als Frau verkleiden und den ganzen Tag in der Schule mit einer
Puppe im Arm herumlaufen und nach Geld fragen. Einfach nur herrlich. :D
Und dann war plötzlich
schon Dezember und damit Weihnachtszeit. Wobei, so ganz stimmt das nicht. Denn
die Weihnachtsmusik dröhnte schon seit Oktober aus den Lautsprechern und die
Massen an kitschiger Weihnachtsdekoration, Keksen und Rocher-Schokolade (!) war
ab Oktober ebenfalls dauerpräsent. Und ich dachte, das wäre nur in Deutschland
so… :D
Ab Dezember fand ich es
aber doch ganz schön, vor allem, mit Diana und Edith den kleinen niedlichen
Plastikbaum zu schmücken… (;
Was neben dem
Weihnachtsbaum aber mindestens genauso wichtig ist, ist die Krippe, die in
keinem Haushalt fehlen darf. Die besteht meist aus künstlichem Moos, einem
kleinen Haus und ganz vielen kleinen Figuren, die Maria, Josef, die Könige, die
Hirten, Schafe, Esel und so weiter darstellen. Es gibt sogar richtige
Wettbewerbe, wer die schönste Krippe gestaltet.
Besonders in den Kirchen
sind die Krippen besonders groß und besonders schön. Was ich allerdings noch
viel eindrucksvoller als die Krippe in der Kirche bei uns um die Ecke fand, war
der Pfarrer, den ich erst gar nicht als solchen erkannt habe. Ich war nämlich
mit Edith in der Kirche, um eben die besagte Krippe anzuschauen, als uns auf
dem Rückweg ein sportlicher Mann in Trikot um die 40 entgegengejoggt kam und
sich angeregt mit uns über alles Mögliche unterhielt und ich dann dachte, es
wäre ein Scherz, als sich dieser Mann zum Ende des Gespräches als „Padre
Victor“ vorstellte. :D Wie auch immer, er war mir schon sympathisch, als er
Edith fragte, ob sie denn mit ihrer Tochter unterwegs sei – okay, könnte
vielleicht daran gelegen haben, dass es schon dunkel war, aber egal. :D Dann
meinte er, ich würde ja schon so gut Spanisch sprechen, da war er mir gleich
noch sympathischer, und als er dann sagte, dass ich gern mal in der Kirche zum
Klavierspielen vorbeikommen könnte, hatte er mich dann wirklich von sich
überzeugt. (; Das Klavierspielen gehört nämlich zu den wenigen Dingen, die mir
hier wirklich fehlen…
Der Dezember ist hier für
die Kinder ohne Zweifel auch der Monat der Süßigkeiten. So fährt zum Beispiel
der Bürgermeister zu jeder einzelnen Schule in der Umgebung und schenkt jedem
einzelnen Kind eine Tüte mit den verschiedensten Süßigkeiten. Da die meisten
Kinder hier aber absolut nicht verwöhnt sind, sind sie so begeistert gewesen,
dass sie fast alles auf einmal gegessen haben. Naja, und daraufhin hatten wir
nur noch Kinder mit Bauchschmerzen…(;
Am 20. Dezember war dann
Ediths Geburtstag. Und weil mir die traurige Antwort auf die Frage an Wilsons
Geburtstag, ob es denn für sie an ihrem
Geburtstag auch so einer Feier geben würde und sie nur „Nein, das haben sie
noch nie gemacht.“ sagte, nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist, habe ich das
dieses Jahr einfach mal selbst in die Hand genommen. Wobei, „einfach“ ist an
dieser Stelle vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck… (;
Jedenfalls habe ich mit
Laura, einer Mitfreiwilligen, die mit Edith an derselben Schule arbeitet, und
ihrem Freund, der sie gerade für einen Monat hier besucht, einen wahren
Partyvorbereitungs- und Ausführungsmarathon hingelegt – und zwar ohne, dass
Edith selbst auch nur die leiseste Ahnung hatte. :D Morgens um 9 Uhr ging es
los mit Einkaufen für die rund 20 heimlich eingeladenen Gäste, danach hieß es
Chaos beseitigen, denn meine Chaotenfamilie hat leider die schlechte
Angewohnheit, alles überall herumliegen zu lassen – ihr glaubt nicht, wie oft
ich schon Ediths Handy anklingeln musste, um es dann wiederum aus irgendeiner
Sofaritze, der hintersten Schrankschublade oder dem Wäschekorb zu fischen. :D
Daraufhin waren dann Pizza
und Kuchen dran. Ich kann mich gar nicht dran erinnern, wie viele Bleche Pizza
an diesem Tag erst belegt, dann in den Ofen geschoben, dann gebacken und dann
auch schon wieder aufgegessen wurden. (;
Jedenfalls waren wir
pünktlich um 15:30 Uhr fertig, aber von den Gästen oder dem Geburtstagskind war
keine Spur zu sehen. Naja, ecuadorianische Pünktlichkeit eben. (;
Irgendwann haben sich dann
aber doch alle erbarmt, zu kommen und was soll ich sagen? Nach ein wenig
anfänglicher Trägheit hat sie unsere Party in den absoluten Knaller verwandelt!
Die Leute haben blecheweise unsere Pizza gegessen, literweise Bier getrunken
und stundenlang zu der Musik, die aus dem Riesenlautsprecher kam, den uns
netterweise der Nachbar geliehen hatte, getanzt, als gäbe es kein Morgen mehr.
Wobei der Gedanke gar nicht so abwegig war, schließlich sollte ja am 21.
Dezember die Welt untergehen. Naja, ist sie dann zwar doch nicht, aber es wäre
auf jeden Fall ein würdiger Abschluss gewesen. (;
Kurzum, unsere Party ist
gelungen. Und was mich am meisten gefreut hat, war, zu sehen, wie glücklich
Edith an diesem Abend war. Nur schade, dass sie sich am nächsten Morgen nur
noch sehr lückenhaft erinnern konnte… (;
Und dann war auch schon
Weihnachten, sofern man das denn so nennen kann. Pralle Sonne, 30°C, ich hüpfe
mit Top und kurzer Hose an grünen Palmen vorbei und fühle mich, als wäre
Hochsommer, bis mir plötzlich in voller Lautstärke „Jingle Bells“ entgegenschallt.
Okay.
Zumindest die Nachricht,
dass es in Deutschland das wärmste Weihnachten seit langem war, hat mich im
Hinblick auf meinen Schnee- und Kälteentzug ein bisschen milde gestimmt.
Das Essen konnte mit dem
deutschen Weihnachtsessen aber auf jeden Fall mithalten. Es gab eine riesige
Pute aus dem Ofen, von der meine Familie drei Tage lang gegessen hat, Reis und
Gemüse.
Die Weihnachtsgeschenke
wurden mir zu Liebe vor dem Auspacken noch unter den Plastikbaum gelegt. Hier
ist es sogar nicht unüblich, dass die Kinder ihre Geschenke schon ein paar Tage
vorher bekommen, nämlich gleich dann, wenn sie sich so gut wie alles im
Geschäft selbst ausgesucht haben. Das finde ich persönlich ein wenig schade,
denn so geht ja sämtliche Vorfreude und Spannung, was sich nun in dem bunten
bedruckten Papier befindet, verloren bzw. kommt gar nicht erst auf.
Weihnachten war für mich
dieses Jahr also recht unspektakulär, wobei sich natürlich die Frage stellt,
was man überhaupt als „unspektakulär“ bezeichnen kann, wenn man sich gerade für
ein Jahr am anderen Ende der Welt befindet…
So neigt sich das Jahr
2012 also dem Ende zu, ein Jahr, das sich am besten damit zusammenfassen lässt,
dass es nicht zusammenzufassen ist. Es ist ein bisschen wie ein Baum, aus
dessen Stamm auf einmal ganz viele verschiedene Äste und Zweige abgehen, es
gibt mehr nur noch diesen einen Weg, sondern unendliche viele, und jeder
Einzelne von uns steht nun vor der großen Aufgabe, den für sich richtigen
darunter zu finden…
Meine Lieben, ich hoffe, ihr hattet schöne Weihnachten und ich wünsche
euch vom anderen Ende der Welt aus einen ganz tollen Start ins neue Jahr – ihr dürft
ja schon sechs Stunden früher als ich die Sektkorken knallen lassen… (;